Die Weihnachtszeit ist erfüllt von Festen, die aus immer neuen Perspektiven heraus dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes nachspüren – so auch Epiphanie, das Fest der Erscheinung des Herrn.
Das Gemälde eines unbekannten Malers aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt die Szene, die im Matthäus-Evangelium beschrieben ist: Die Ankunft der Weisen aus dem Morgenland in Bethlehem, den Augenblick, da sie „das Kind und Maria, seine Mutter“ sehen.
Vor einem Rundbogenfenster, das einen Ausblick in eine Landschaft, aber noch mehr in die Morgendämmerung des Himmels freigibt, thront Maria – erhöht, frontal dem Betrachter zugewandt –, und hält ihr Kind in einer Weise, dass sie gleichsam selbst zum Thron wird für Christus – dem göttlichen Wort, das Fleisch geworden ist.
Auf dieses Kind hin ist alles ausgerichtet: Kompositorisch hat es seinen Sitz fast in der Bildmitte; alle Figuren und Personen sind um es herumgruppiert und beinahe alle Blicke zieht es auf sich: Den Blick Marias und Josephs; die Blicke der Besucher aus dem Osten: ganz rechts die der Gefolgsleute der Könige, ja sogar die des Kamels!
Und schließlich die „drei Könige“ – prächtig gekleidet in der rechten Bildhälfte. Aus den Magiern oder Sterndeutern des Matthäus-Evangeliums sind in der Auslegungsgeschichte längst „Könige“ geworden, wohl in Anlehnung an Psalm 72, der einen Zug von ausländischen Königen beschreibt, die dem Herrscher Israels huldigen.
Die Könige hatten sich auf den Weg gemacht, weil sie in ihrer Heimat einen Stern hatten aufgehen sehen, der ihnen den „neugeborenen König der Juden“ angekündigt hatte, und weil sie durch jüdische Schriftgelehrte in Jerusalem erfahren hatten, dass aus Bethlehem „ein Fürst hervorgehen wird, der Hirt des Volkes Israel“.
Nun sind sie am Ziel angekommen – nach langer, beschwerlicher Reise, nach Suchen und Forschen, nach Umweg und Neuausrichtung. Nun sind sie da, am Ziel ihrer Sehnsucht – einem Kind, dem sie voll Freude huldigen und dem sie ihre kostbaren Gaben darbringen.
Im Zentrum des Gemäldes spielt sich unterdessen eine Begegnung von ungeheurer Intensität ab: Der alte König ist in die Knie gesunken und schaut das Kind innig an: „Seine Augen haben das Heil gesehen“ – in diesem Kind, das sich ihm nach den Mühen seiner Lebens-Reise nun entgegenstreckt: mit gütigem Antlitz, leuchtenden Augen und ausgebreiteten Armen.
Eine Begegnung von göttlichem Kind und betagtem König wie sie inniger, intensiver kaum sein könnte. Eine Schau von Angesicht zu Angesicht, von Person zu Person – so als habe nicht nur dieser König, also der Mensch, existentielle Sehnsucht nach Gott, sondern auch Gott Sehnsucht nach dem Menschen.
Dr. Susanne Kaup